Beratungsstelle Extremismus: Thema “Extremismusprävention Online”

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Thema “Extremismusprävention Online”

Der digitale Lebensraum ist für Jugendliche selbstverständlicher Teil ihrer Lebenswelten. Extremismus-Prävention muss diesem Phänomen Rechnung tragen.

Jugendliche verbringen im Durchschnitt drei Stunden täglich im Web 2.0, auf unterschiedlichen News und Social Media Plattformen.[1] Das beliebteste Netzwerk ist dabei WhatsApp, das von 83 % der Jugendlichen genutzt wird. Auf Platz zwei liegt YouTube (78 %), die beliebteste Suchmaschine für Jugendliche. Dahinter liegen Instagram (71 %) und Snapchat (52 %). Facebook (44 %) hat im Vergleich zum Vorjahr an Beliebtheit abgenommen und wird von Jugendlichen vor allem genutzt, um News und Infos zu lesen. Plattformen für digitale Spiele wie Twitch gewinnen an Bedeutung.[2] Durch soziale Medien verändern sich natürlich auch die Offline-Gewohnheiten von Jugendlichen, wie die Nutzung von Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und anderen informellen Lernorten politischer Bildung.

Das Internet als Radikalisierungsfaktor

Social Media Plattformen und das Web 2.0 sind die digitalen Räume, in denen klassische Zielgruppen von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit online angesprochen werden, unter anderem auch durch extremistische Propaganda. Subkulturelle konnotierte (Jugend-)Szenen, also klassische Zielgruppen von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit, sind vielfältig und pluralistisch, immer im Wandel, meist politisch und – in unserer multikulturellen Gesellschaft – immer öfter auch ethnisch oder religiös konnotiert, wie beispielsweise neosalafistisch und/oder jihadistisch orientierte Jugendszenen.

Speziell für diese Szenen (aber natürlich auch für Digital Natives im Allgemeinen) spielt das Internet eine ganz wesentliche Rolle. Es gibt keine getrennten online und offline Lebenswelten, über mobile Geräte wird „das Internet“ permanent in das Alltagshandeln eingebaut. (Vgl. Hofinger/Schmidinger 2017, S.5)

Gerade in Bezug auf die Radikalisierungsverläufe von Personen, die nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind, wurden einige Studien erstellt, die die Rolle des Internets bzw. der Online-Ansprache als Radikalisierungsfaktor beleuchten. Neben der Peer Group (54 %) und szenerelevanten Offline Räumen (48 %) war das Internet bei 44 % der ausgereisten Personen ein entscheidender Faktor für ihren Radikalisierungsverlauf (vgl. Bundeskriminalamt 2016, S. 20).

Jugendliche, die sich im Netz innerhalb von Echoräumen und Blasen bewegen, laufen im besonderen Ausmaß Gefahr hermetisch geschlossene Weltbilder zu entwickeln und Radikalisierungsprozesse zu durchlaufen.[3]

Rekrutierungsstrategien

Die meisten extremistischen Medienseiten agieren mittlerweile im legalen Rahmen, um Social Media Plattformen direkt mit ihren Inhalten bespielen zu können, sowie mit ihrer Zielgruppe in Interaktion treten. Die Seiten zeichnen sich durch ein professionelles Community-Management aus. Um höhere Reichweiten zu erzielen, verwenden sie unterschiedliche Strategien der Verschlagwortung und Platzierung. Inhalte werden in sogenannten trending topics gepostet und Hashtags gekapert, um mit einem spezifischen ideologischen Framing (also Rahmung) an Mainstream-Diskurse und den Lebenswelten ihrer (jugendlichen) Zielgruppe anzuknüpfen, um mögliche neue Sympatisant*innen rekrutieren zu können. Durch diese ausgeklügelten Strategien können Jugendliche bereits durch harmlose, unpolitische Suchanfragen auf extremistische Inhalte, Online-Kanäle und Netzwerke stoßen. (vgl. Klicksafe 2018, S. 34ff)

Analog zum Streetwork bzw. zu Mobiler Jugendarbeit offline im öffentlichen Raum, ist die Methode des Online-Streetworks dazu in der Lage, im Netz mit schwer erreichbaren Zielgruppen eine Ebene der Kommunikation aufzubauen, indem gezielt Inhalte an Jugendliche herangetragen werden und der Dialog gesucht wird.

In der Praxis der Extremismusprävention finden sich aktuell zwei Ansätze von Online-Streetwork, um im Digitalen Raum Jugendliche aufzusuchen.

Non-content-based Online-Streetwork

Mit dem Ansatz non-content-based Online-Streetwork arbeitet beispielsweise das Projekt streetwork@online[4] aus Berlin. Die aufsuchende Sozialarbeit findet in erster Linie in Gruppen, auf szenerelevanten Seiten, in szenespezifischen Kanälen und Gruppenchats statt. Die Kontaktaufnahmen erfolgen in den Kommentarspalten unter bestehenden Posts (one-to-many und many-to-many) oder mit eigenen Beiträgen. Außerdem werde Gespräche in den geschützteren Raum des Einzelchats (one-to-one) überführt, das erleichtert den Beziehungsaufbau und die individuelle Beratung.

Das Ziel von streetwork@online ist, UserInnen zu unterstützen, ihr eigenes Handeln und ihre eigenen Ansichten zu reflektieren, konkrete Hilfe vor Ort (also im digitalen Raum) bei Fragestellungen anzubieten und gegebenenfalls an spezialisierte Beratungsstellen zu vermitteln.

Content-based Online-Streetwork

Mit dem Ansatz Content-based Online-Streetwork arbeitet das Projekt Jamal al-Khatib – Mein Weg! Das Ziel dieses Projektes ist es, über den alternativen Content Reflexionsprozesse und Diskussionen über Themen anzuregen, zu denen online Content von extremistischen Plattformen dominiert. Dabei wird Content (Webvideos[5], Fotos, Sujets, Storys etc.) über gezieltes Targeting in die Echo-Kammern und szenespezifische Filterblasen getragen.

Der Content dient als (recht inhaltsreicher) „digitaler Flyer“, über den Interesse geweckt und zum Dialog auf den Kanälen von Jamal al-Khatib eingeladen wird. In den Diskussionen mit der Zielgruppe wird darauf fokussiert, einen common ground und einen respektvollen, vertrauensvollen Umgang zu etablieren und so die Voraussetzungen für eine mögliche Verhaltensänderung bei Jugendlichen aus den Zielgruppen zu schaffen. Grundlage hierfür ist die biographisch-narrative Gesprächsführung. Auch bei diesem Ansatz besteht die Möglichkeit Interaktionen in den geschützteren Raum des Einzelchats (one-to-one) zu überführen, da so ein Beziehungsaufbau und individuelle Beratung besser gelingen kann. Daneben bietet content-based Online-Streetwork auch die einmalige Möglichkeit, mit den Diskussionen, die mit Einzelnen geführt werden, eine beachtliche Zahl an MitleserInnen zu erreichen (one-to-many). In diesem Zusammenhang kann es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein, gegenüber (ideologisierten) User*innen kontinuierlich Position zu beziehen, auch wenn diese tatsächlich nicht an einer Diskussion interessiert sind.

Weitere Ansätze für die (online) Extremismusprävention

Mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung, der Stadt Wien und dem Interkulturellen Zentrum wurde im Jahr 2019 die zweite Staffel von Jamal al-Khatib produziert und veröffentlicht. Dabei wurden neben dem Ansatz des content-based Online-Streetwork auch zwei weitere Methoden der Online- Extremismusprävention entwickelt.

Digitale Jugendarbeit und Community Management

Aufbau einer eigenen Online-Community als Gegenpol zu neosalafistischen Social Media Initiativen. Die Seiten von Jamal al-Khatib werden mit politisch bildnerischen Inhalten zu aktuellen, für die Zielgruppe relevanten Themen bespielt[6]. Gleichzeitig werden unterschiedliche Möglichkeiten geschaffen, um mit der Community in Interaktion zu treten. Einerseits in der Öffentlichkeit der Kommentarspalten, über Sticker/Storys, vor allem aber auch über persönliche Nachrichten, um für sensiblere Themen auch einen vertraulicheren Gesprächsrahmen anbieten zu können. So kann niederschwellige Beratung und Vermittlung an spezialisierte Einrichtungen ermöglicht werden.

Social Media Operations

Screenshot aus Instagram: Meine Schwester trug früher kein KopftuchDurch bewusste Platzierung und Betitelung, sowie das Setzen von szenespezifischen Hashtags können alternative Positionen in sogenannte trending topics und/oder extremistische Social Media Operations hineingetragen werden. Ein Beispiel dafür, wie eine solche Intervention zu tagesaktuellen Themen aussehen kann, ist die Reaktion von Jamal al-Khatib auf die Hashtag Kampagne „#nichtohnemeinkopftuch“. Der Post (siehe Abbildung), der eine Alternative Erzählung zu der der Urheber von „Generation Islam“ darstellte, löste lebhafte Diskussionen in der Zielgruppe aus und gehört, mit über 46.000 Aufrufen zu den erfolgreichsten Beiträgen der zweiten Staffel von Jamal al-Khatib.

Online-Streetwork

Der Ansatz, Jugendliche auch im Internet aufzusuchen und mit ihnen zu interagieren, orientiert sich an den Konzepten der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung. In der Extremismusprävention ist Online—Streetwork ein wichtiges Angebot, gleichzeitig bleibt der Offline-Kontakt unverzichtbar.

 

[1] https://www.zeit.de/digital/internet/2018-03/social-media-dak-studie-instagram-whatsapp-sucht-jugendliche

[2] https://www.saferinternet.at/services/jugend-internet-monitor/

[3]https://www.klicksafe.de/fileadmin/media/documents/pdf/klicksafe_Materialien/Lehrer_LH_Zusatzmodule/klicksafe_SalafismusOnline.pdf

[4] http://www.streetwork.online/

[5] Alle Episoden sind online auf dem YouTube Kanal https://www.youtube.com/c/JamalalKhatib zu finden. Zu den Videos werden außerdem pädagogische Materialien erstellt und gratis unter https://www.turnprevention.com/materialien zum Download bereitgestellt.

[6] Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Kampagne von Jamal al-Khatib #Uiguren #Wirvergesseneuchnicht! Die Kampagnenvideos sind auf dem YouTube Channel https://www.youtube.com/c/JamalalKhatib


Quellen

Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz und Hessisches Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (2016). Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind. Zweite Fortschreibung 2016. https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/Forschungsergebnisse/2016AnalyseRadikalisierungsgruendeSyrienIrakAusreisende.html

Letzter Aufruf: 31.01.2020

Hofinger, V. & Schmidinger, T. (2017). Wege in die Radikalisierung. Wie Jugendliche zu IS-Sympathisanten werden (und welche Rolle die Justiz dabei spielt). Endbericht. https://www.irks.at/assets/irks/Endbericht_WegeRadikalisierung_final.pdf

Letzter Aufruf: 31.01.2020

Klicksafe c/o Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz in Kooperation mit Kompetenzzentrum (2018). Salafismus online. Propagandastrategien erkennen – Manipulation entgehen. Materialien für Schulen und außerschulische Jugendarbeit. https://www.klicksafe.de/fileadmin/media/documents/pdf/klicksafe_Materialien/Lehrer_LH_Zusatzmodule/klicksafe_SalafismusOnline.pdf

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