Beratungsstelle Extremismus: Thema: Verschwörungstheorien

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Thema: Verschwörungstheorien

Was sie ausmacht, wer dafür anfällig ist, wie ihnen begegnet werden kann

Ein Vater fragt bei der Beratungsstelle Extremismus an: Sein Sohn weigere sich, in die Schule zu gehen, weil er überzeugt sei, dass Menschen von Reptilien beherrscht werden und LehrerInnen in deren Diensten agieren. Ein anderer Anrufer an der Helpline der Beratungsstelle erzählt, dass sein Bruder jegliche Corona-Maßnahmen mit der Begründung ablehne, dass Corona von den Regierenden erfunden wurde, um der Bevölkerung die Grundrechte zu nehmen und um den „großen Austausch“ voranzutreiben. Er sehe überall dunkle Mächte am Werk, zeige sich in Gesprächen kompromisslos und entfremde sich zunehmend von seiner Familie. Eine Mutter will ihr Kind nicht mehr alleine aus dem Haus gehen lassen, weil sie von einem pädophilen Ring gehört hat, der Kinder entführe und sie foltere um das Stoffwechselprodukt Adrenochrom zu gewinnen, das zur Bekämpfung des Alterungsprozesses verwendet werde. – Seit Beginn der COVID-19-Epidemie melden sich in der Beratungsstelle Extremismus vermehrt Angehörige von AnhängerInnen von Verschwörungstheorien. Die AnruferInnen suchen Hilfe, weil sie um ihre Angehörigen besorgt sind, weil sie befürchten, dass ihre Beziehungen in die Brüche gehen könnten und die Familie gespaltet wird. Die Folgen des Glaubens an Verschwörungstheorien können besonders dann zu Problemen führen, wenn sich ihre AnhängerInnen aus den gewohnten sozialen Netzwerken zurückziehen und in den Echokammern des Internets verschwinden: Dort finden sie ständig neue Nahrung für ihre Theorien und werden für ihr nahes Umfeld oft immer unerreichbarer. Die AnruferInnen suchen nach Unterstützung in der Hoffnung, solchen Entfremdungsprozessen ihrer Angehörigen entgegenzuwirken.

Wovon sprechen wir?

Die Definition von Pia Lamberty und Katharina Nocun (2020) erfasst Merkmale von Verschwörungstheorien, die Teil der meisten Begriffsbestimmungen sind:

„Eine Verschwörungserzählung ist eine Annahme darüber, dass als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder eine Gruppe von Menschen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und damit der Bevölkerung gezielt schaden, während sie diese über ihre Ziele im Dunkeln lassen.“ [1]

Der deutsche Psychologe Marius Raab wiederum definiert eine Verschwörungstheorie als eine begründete Annahme, dass ein wichtiges Ereignis oder Geschehen von einer Gruppe von Menschen herbeigeführt wurde, die im Verborgenen arbeitet.[2]

Im eigentliche Sinn kann oftmals nicht von Theorien gesprochen werden, da es das Wesen einer Theorie ist, dass sie methodisch überprüfbar ist. AnhängerInnen von Verschwörungstheorien jedoch verschließen sich vor Fakten und Gegenbeweisen und widersetzen sich einer wissenschaftlichen Überprüfung. Insofern macht es mitunter mehr Sinn von Verschwörungsmythen, Verschwörungsideen oder auch von Verschwörungsideologien zu sprechen.

Wir verwenden in diesem Beitrag dennoch auch den Begriff „Verschwörungstheorie“, da sich dieser Begriff in der Öffentlichkeit etabliert hat und ihn auch einige WissenschaftlerInnen bevorzugen. Michael Butter[3] etwa, Koordinator des interdisziplinärem Forschungsnetzwerks COMPACT (Comparative Analysis of Conspiracy Theories, deutsch: Vergleichende Analyse von Verschwörungstheorien)[4] und Professor für amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen verwendet den Begriff mit der Begründung, dass eine Verschwörungstheorie – im Gegensatz zu einer Behauptung – immer auch versuche, Beweise zu liefern. Eine Behauptung einer Verschwörung, ohne dazu Theorien zu liefern, wäre ihm zufolge als ein Verschwörungsgerücht zu klassifizieren.

Was kennzeichnet Verschwörungstheorien?

Nicht immer ist die Unterscheidung zwischen Zweifeln, berechtigter Kritik und Verschwörungstheorien einfach, da es hier fließende Übergänge und Überschneidungen gibt. Auch ist nicht jede Verschwörungstheorie zwingend falsch: Denken wir etwa an die Wannsee-Konferenz 1942, als hochrangige Politiker der NSDAP die Organisation des Holocausts planten. In Europa wollten dies damals nur wenige Menschen glauben. Was damals also auch zunächst als Verschwörungstheorie galt, stellte sich als tatsächliche Verschwörung heraus.

Was alle Verschwörungstheorien verbindet, sind Fragen wie: Wer steht hinter einem Ereignis? Wer hat einen Nutzen davon? VerschwörungstheoretikerInnen können sich nicht vorstellen, dass etwas durch einen Zufall entsteht (z.B., dass ein Virus von einem Tier auf den Menschen überspringt und sich weltweit überträgt). Es wird angenommen, dass hinter jedem Ereignis eine menschliche Intention steht, immer jemand davon profitiert und es daher auch „Schuldige“ und „Böse“ geben muss. Verschwörungstheorien teilen die Welt eindeutig in „Gut“ und „Böse“, vereinfachen also die Komplexität.

ExpertInnen weisen darauf hin, dass dieses Konzept der Erklärung etwas Befriedigendes und Entlastendes für die Betroffenen bietet. Es kann in Zeiten von großen Unsicherheiten stabilisierend wirken, wenn Menschen eine (vermeintliche) Gewissheit darüber haben, wer ein bestimmtes Ereignis zu verantworten hat. Schuldige zu identifizieren beinhaltet auch gleichzeitig eine Lösungsoption: Es müssten nur die vermeintlichen Schuldigen beseitigt werden und damit wäre das Problem gelöst.

Verschwörungstheorien weisen zusammenfassend folgende Komponenten auf:

  • Nichts passiert durch Zufall, alles ist geplant.
  • Die Gruppe, die im Hintergrund die Strippen zieht, agiert im Geheimen – man muss hinter die Kulissen schauen.
  • Wenn man das tut, erkennt man: Alles ist miteinander verbunden.

In vielen Verschwörungserzählungen spielen antisemitische Elemente eine Rolle. Laut Michael Butter ist nicht jede Verschwörungstheorie per se antisemitisch, aber die meisten Verschwörungstheorien der Gegenwart sind anschlussfähig für antisemitische Erklärungsmodelle. Juden und Jüdinnen wurden immer wieder mit Macht und Einfluss assoziiert – das reicht vom „Christusmord“ bis hin zum Vorwurf der heimlichen Kontrolle über das Finanz- und Medienwesen. Die Zuschreibung einer weltumspannenden Macht ist noch heute ein wesentliches Element antisemitischer Ideologien. Oftmals werden Jüdinnen und Juden nicht mehr direkt genannt, es ist hingegen von George Soros, den „Rothschilds“ oder anderen jüdischen Persönlichkeiten die Rede.

Seit wann gibt es Verschwörungstheorien?

Während viele WissenschaftlerInnen der Meinung sind, Verschwörungstheorien hätten eine anthropologische Konstante, geht Michael Butter davon aus, dass es sie nicht zu jeder Zeit und auch nicht in allen Gesellschaften gab. In Europa seien sie am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit entstanden, weil es zu diesem Zeitpunkt günstige Bedingungen für deren Entstehung gegeben habe: eine komplexe politische Landschaft, einen Wettstreit der Religionen, und schließlich die Erfindung des Buchdrucks, der größere Verbreitungsmöglichkeiten schuf.

Bis in die Jahre der 1950er und 1960er galten Verschwörungstheorien als legitime Form des Wissens. Sie richteten sich oft von Eliten gegen marginalisierte Gruppen (z.B. die Verfolgung vermeintlicher „Hexen“). Erst danach richteten sich Verschwörungstheorien auch gegen Eliten und erfuhren im Zuge dessen in der westlichen Welt einen Stigmatisierungsprozess. Dennoch sind viele Verschwörungserzählungen nach wie vor in der Mitte der Gesellschaft vorhanden.

Wer ist anfällig für Verschwörungstheorien?

Grundsätzlich ist niemand davor gefeit, einer Verschwörungserzählung Glauben zu schenken. Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg, Professor für Wahrnehmungspsychologie, und sein Kollege Mariuus Raab forschen derzeit zu Verschwörungstheorien in Zeiten von Corona. Marius Raab sagt in einem Interview mit “DER STANDARD”: “Verschwörungstheorien sind oft komplexe, interessante Geschichten, in die man sich hineindenken kann und die einen Aha-Moment enthalten. Gute Geschichten funktionieren immer.”[5]

Aus psychologischer Perspektive zeigen Menschen, die real oder gefühlt einen Machtverlust erlitten haben, sich ohnmächtig fühlen, das Gefühl haben, keinen Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben, sich als VerliererInnen, als „Abgehängte“ erleben und schlecht mit Unsicherheiten und Ambivalenzen umgehen können, eine höhere Anfälligkeit für Verschwörungsmythen. Durch die Flucht in Verschwörungstheorien bekommen sie kurzfristig das Gefühl von Kontrolle für das eigene Leben und gewinnen durch Protest gegen die vermeintlich Schuldigen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Der Wissenschafter Michael Butter sagt in einem Podcast der Zeit, dass  in der „westlichen Welt“ Männer signifikant anfälliger für Verschwörungstheorien sind als Frauen. Er erklärt dies unter anderem damit, dass Verschwörungstheorien eine Antwort auf die Krise traditioneller Männlichkeitsbilder liefern. Bei Menschen mit steigendem Bildungsgrad nehme die Neigung zu Verschwörungstheorien ab, so Butter. Ob man einer Verschwörungserzählung Glauben schenkt, hängt auch vom Vorwissen über bestimmte Phänomene ab und davon, welche Informationsquellen man nutzt. Bei Menschen, die einen höheren Bildungsgrad aufweisen, spielt es auch eine Rolle, ob sie sich als erfolgreich erleben.

Ob es eher jüngere oder ältere Menschen sind, die an Verschwörungserzählungen glauben, ist umstritten. Laut Butter, flüchten sich häufiger Menschen in mittlerem Lebensalter (35-55-Jährige) als jüngere in Verschwörungstheorien. Dies könne damit zusammenhängen kann, dass Verschwörungstheorien häufig eine Nostalgie nach einer Vergangenheit vor der Verschwörung mitliefern, was für jüngere kein so großes Attraktionsmoment darstellt.

Eine Umfrage von Yougov und statista vom Herbst 2020 kommt jedoch zu einem gegenteiligen Ergebnis: Unter den Befragten (2.023 Befragte ab 18 Jahre in Deutschland) gaben 35% zwischen 18 und 44 Jahren an, schon einmal daran geglaubt, dass an einem Verschwörungsmythos etwas dran sei. Bei den älteren Befragten ab 55 Jahren sagte dies nur noch ein Viertel (24 Prozent).

Unter den Personen, die sich an die Beratungsstelle Extremismus wenden, sind wiederum Menschen ab Mitte 40 deutlich in der Überzahl: Kinder rufen an, weil sie sich um ihre Eltern sorgen, die auf Anti-Corona-Demos gehen oder es geht um den/die PartnerIn, einen Bruder oder eine Schwester.

Einer Untersuchung des Mainzer Institutes für Publizistik zufolge denken 17% der Deutschen, dass die US-Regierung den Anschlag am elften September selbst verübt hat, 17% vertreten die Meinung, dass es niemals eine Mondlandung gab, 10% glauben an den „großen Austausch“, 3% an Reptiloide und über 30%, dass Lady Diana vom britischen Geheimdienst umgebracht wurde.[6] Eine aktuelle Studie der Konrad Adenauer Stiftung[7] hat in einer repräsentativen Umfrage erhoben, inwieweit Verschwörungstheorien Glauben geschenkt wird. Demnach halten 30% der Deutschen die Behauptung, dass es geheime Mächte gibt, die die Welt steuern für sehr oder ziemlich richtig.

Verschwörungsmythen rund um Corona

Rund um das Corona-Virus ranken sich allerlei Verschwörungsmythen: Das Virus existiere gar nicht oder es sei harmlos, es sei eine Biowaffe und eine Impfung sei schon längst entwickelt worden, werde aber im Interesse der Mächtigen zurückgehalten oder das Virus diene nur als Vorwand, um Freiheitsrechte einzuschränken. Die allerwenigsten Corona-Verschwörungstheorien sind völlig neu, oft wird auf Verschwörungstheorien aufgebaut, die schon länger in Umlauf sind.

Jüngste Umfrageergebnisse aus Österreich zu Verschwörungstheorien rund um Corona zeigen, dass zumindest drei von zehn ÖsterreicherInnen der Ansicht sind, an vielen Theorien „sei mehr dran“ als offiziell verlautbart werde. Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstitutes Marketagent[8] denken mehr als 27 Prozent von 500 Befragten, dass das Corona-Virus nicht schlimmer sei als eine normale Grippe. Knapp 22 Prozent vertreten die Ansicht, dass es sich bei COVID-19 um eine biologische Waffe handelt und knapp 16 Prozent sind sich sicher, dass die Corona-Pandemie ein Vorwand ist, um Freiheitsrechte einzuschränken. Dass Alkohol und Nikotin vor COVID-19 schützen, halten etwas mehr als 3 Prozent für wahr und 5,4 Prozent glauben, dass die neuen 5G-Sendemasten für die Verbreitung des Virus verantwortlich seien.

Auch bei einer Untersuchung des Austrian Corona Panel Project der Uni Wien[9], das im Zweiwochentakt dieselben 1.502 Personen zu unterschiedlichen Themen befragt, fand die Theorie der Verbreitung des Virus durch 5G-Sendemasten eher wenig Zustimmung, aber immerhin 18 Prozent hielten diese Annahme für möglich, wollten sich jedoch weder explizit für oder gegen ihre Richtigkeit aussprechen. Zwei Prozent gehen „eher sicher“ davon aus, dass Viren neuerdings per Funk reisen können, ein Prozent ist sich diesbezüglich sogar „sehr sicher“. Was die Verschwörungstheorie betrifft, dass Bill Gates alle Menschen zwangsweise impfen wolle, gibt es hingegen schon mehr Zustimmung: 15 Prozent halten die Impfverschwörung mit hoher oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit für real, 24 Prozent stimmen ihr weder explizit zu, noch verneinen sie diese.

Die Haltung zu Verschwörungstheorien variiert stark nach politischer Zuordnung. So glauben 29 Prozent der FPÖ-WählerInnen, dass Bill Gates Zwangsimpfungen plant. Generell sind WählerInnen rechter oder rechtsextremer Parteien anfälliger für Verschwörungserzählungen.

 

Warum beschäftigen uns Verschwörungstheorien gerade jetzt?

Pandemien sind immer auch Zeiten fundamentaler Unsicherheiten und haben seit jeher die Verbreitung von Verschwörungstheorien begünstigt. Das Internet ist ein zusätzlicher Katalysator. Michael Butter dazu: „Vor 30 Jahren mussten Menschen, die den Verdacht einer Verschwörung hegten, viel Zeit und Mühe investieren, um Informationen zu finden, die das scheinbar stützen. Heute reicht es, einmal zu googeln. Früher kam man vielleicht ins Grübeln, wenn man im Freundeskreis der einzige war, der an eine Verschwörung geglaubt hat, online findet man jetzt aber sehr einfach viele Leute, die die eigene Überzeugung teilen oder vielleicht noch verstärken.“[10]

Auch die Radikalisierungexpertin Julia Ebner beschreibt in ihrem Buch „Radikalisierungsmaschinen“, auf welche Weise der Online-Raum für die Bildung von weltweiten Netzwerken genutzt wird. Sie bezieht sich hier auch auf Studien, die ergeben, dass das Internet Verschwörungstheorien ständig neue Nahrung gibt.[11]

Welche Gefahr geht von Verschwörungstheorien aus?

Ob Verschwörungstheorien gesellschaftlich gefährlich werden können, hängt sehr von der Art der jeweiligen Verschwörungstheorie ab. Insbesondere geht Gefahr von jenen Verschwörungstheorien aus, die Gruppen von Menschen stigmatisieren oder Feindbilder konstruieren und die somit einen Nährboden für Diskriminierung oder auch Übergriffe gegen Minderheiten schaffen. Auch extremistische Gruppierungen nutzen Verschwörungstheorien, um ihre Ideologie zu begründen und für sie zu mobilisieren.[12]

Um das exemplarisch zu verdeutlichen soll hier nur ein Beispiel genannt werden: Von einer Theorie, dass Lady Diana ermordet wurde, geht bei weitem nicht so eine große Gefahr aus wie beispielsweise von den Theorien rund um die Protokolle der „Weisen von Zion“. Letzteres ist ein auf Fälschungen basierendes antisemitisches Dokument, das als äußerst einflussreiche Programmschrift für antisemitisches Verschwörungsdenken gilt und u.a. von der Propaganda der NSDAP ins Treffen geführt wurde. Die Verschwörungstheorie von der Ermordung Dianas hingegen hat für ihre AnhängerInnen vor allem eine identitätsstiftende Wirkung.

Wie umgehen mit VerschwörungstheoretikerInnen?

So wie bei den meisten ideologisierten Menschen gilt auch in Bezug auf VerschwörungstheoretikerInnen: Inwiefern Menschen bereit sind ihre Überzeugungen zu ändern, hängt auch davon ab, wie identitätsstiftend die jeweilige Ideologie für sie ist.

Angehörige beschreiben oft, dass ihre Versuche, VerschwörungstheoretikerInnen mit Gegenargumenten zu überzeugen, eher dazu führten, dass sie sich in ihrer Identität stark angegriffen fühlten und Gegenargumente oftmals eine verstärkte Abwehrreaktion auslösten.

Alexander Eydlin, laut Zeit-Artikel ein fanatischer Anhänger von Verschwörungstheorien, der sich von diesen distanziert hat, tat dies auch deswegen, weil ihn sein Umfeld nicht „umerziehen“ wollte: „So haben mich am Ende nicht die verbissenen Argumente derer überzeugt, die mir beweisen wollten, dass ich irre. Sondern die beständigen Freundschaften mit Menschen, die meine seltsamen Ideen nicht teilten und in mir dennoch mehr sahen als einen Spinner. Sie stritten mit mir, aber erst nachdem sie sich die Zeit genommen hatten, meine kruden Ideen zu verstehen. Diese Zeit und der Respekt, der dahinterstand, die Zuneigung zu mir als Person, waren wertvolle Ressourcen, die für mich Sinn jenseits moderner Mythen erschufen. Das Verhalten der Person war wichtig, nicht ihre Ansichten.“[13]

Zunächst geht es darum, den Kontakt mit den Betroffenen aufrecht zu erhalten. Eine Wirkung zeigt es in jedem Fall, Dialogbereitschaft zu signalisieren, Fragen zu stellen, die einen Reflexionsprozess bei den Betroffenen auslösen. Auch Fragen nach den Quellen von Verschwörungstheorien können hilfreich sein: Gibt es weitere Belege für die Theorie? Welche weiteren Informationen werden von der Seite verbreitet? Gibt es einen Verfasser/eine Verfasserin der Theorie?

Bei aller Dialogbereitschaft sollte aber eindeutig Position gegenüber abwertenden Tendenzen einer Verschwörungstheorie oder einer Gruppierung bezogen werden. Wichtig dabei ist es jedoch, den Betroffenen gegenüber nicht abwertend zu werden. Menschen, die als „Irre“ oder „Wahnsinnige“ bezeichnet werden, reagieren stärker mit Schließungstendenzen anderen Sichtweisen gegenüber als mit Offenheit. Ein Dialog kann nur dann Positives bewirken, wenn er seine wertschätzende Grundlage nicht verliert.

Auch wenn auf AnhängerInnen von Verschwörungstheorien einige gemeinsame Faktoren zutreffen, gibt es immer individuelle Auslöser für die Ideologisierung und eine individuelle Funktion der Verschwörungstheorie für die aktuelle Lebenssituation. Der Versuch, die Perspektive des/der Betroffenen und seine oder ihre persönlichen Gründe für die Ideologisierung nachzuvollziehen, kann einen emphatischen und wertschätzenden Umgang mit Betroffenen fördern.

Zugleich ist es wichtig, sich als Angehörige Entlastung im eigenen Umfeld zu holen und sich auch der Grenzen und Möglichkeiten der eigenen Rolle bewusst zu werden. Der Einfluss und die Möglichkeiten auf einen ideologisierten Angehörigen einzuwirken, hängen stark von der Tragfähigkeit der Beziehung zu dem Betroffenen und eigenen Ressourcen ab.

Letztendlich ist es daher auch empfehlenswert, sich Unterstützung durch eine Beratungseinrichtung zu holen.

[1] Vgl. Nocun, Katharina/ Lamberty, Pia (2020): Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Quadriga Verlag.

[2] Vgl. Raab, Marius/ Carbon, Claus-Christian/ Muth, Claudia (2017): Am Anfang war die Verschwörungstheorie. Springer Verlag.

[3] Vgl. u.a. Butter, Michael (2018): ‘Nichts ist, wie es scheint’. Über Verschwörungstheorien. Suhrkamp Verlag.

[4] COMPACT ist eine laufende Langzeitstudie (über 4 Jahre Forschungsdauer) mit einer Beteiligung von 169 ForscherInnen aus 40 Ländern.

[5]  https://www.derstandard.at/story/2000121955526/warum-menschen-an-eine-verschwoerung-glauben (letzter Aufruf: 16.08.2021).

[6] Vgl. https://www.zeit.de/politik/2020-09/verschwoerungstheorien-michael-butter-corona-demos-politikpodcast (letzter Aufruf: 6.10.2020).

[7]Vgl.https://www.kas.de/documents/252038/7995358/Eine+repr%C3%A4sentative+Umfrage+zu+Verschw%C3%B6rungstheorien.pdf/0f422364-9ff1-b058-9b02-617e15f8bbd8?version=1.0&t=1599144843148 (letzter Aufruf: 6.10.2020).

[8] Vgl. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200812_OTS0102/alles-nur-ein-komplott-corona-verschwoerungstheorien-auf-der-spur-anhang (letzter Aufruf: 6.10.2020)

[9] Vgl. https://www.derstandard.at/story/2000118131390/coronavirus-rund-40-prozent-der-oesterreicher-halten-gates-verschwoerung-fuer (letzter Aufruf: 6.10.2020)

[10] Butter, Michael: Spektrum der Wissenschaft Kompakt, Ausgabe 9.10.2017

[11] Ebner, Julia: Radikalisierungsmaschinen (2019): Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Suhrkamp Verlag.

[12] Mehr dazu in unserem Themenschwerpunkt: Extremismus und Corona

[13] Vgl. https://www.zeit.de/kultur/2020-09/verschwoerungstheorien-anhaenger-erfahrung-umgang-vorurteile-coronavirus (6.10.2020)

 

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